Sexuelle Dysfunktion

Eine sexuelle Funktionsstörung beeinträchtigt sexuelle Aktivitäten. Für die betroffene Person scheinen die individuellen Ansprüche an eine erfüllte Sexualität unerreichbar.

Was versteht man unter sexuellen Funktionsstörungen?

Unter einer sexuellen Dysfunktion versteht man eine Beeinträchtigung sexueller Aktivitäten. Das heisst, dass ein positives sexuelles Erleben beeinträchtigt oder gar unmöglich ist. Solche Störungen vor, während oder nach dem Geschlechtsverkehr resp. der Selbstbefriedigung können bei allen Geschlechtern auftreten. ExpertInnen sprechen erst dann von einer Störung, wenn die betroffene Person darunter leidet. Nicht alle suchen bei sexuellen Problemen professionelle Hilfe auf. Hierbei spielt oft die Scham eine Rolle. Sexuelle Funktionsstörungen können bei einer Beziehung von Anfang an bestehen oder erst im Verlauf eintreten. Zudem können sie lang oder kurz andauernd (chronisch), von Situationen (z.B. im Alltag oder im Urlaub), vom Partner/von der Partnerin oder aber auch von der sexuellen Praktik abhängig sein.

Mögliche Äußerungsformen von sexuellen Problemen:

Lustlosigkeit: Die sexuelle Lust ist gemindert oder aber auch übermässig hoch. Die Lustlosigkeit ist jedoch keine Störung, wenn eine Beziehung dadurch nicht belastet wird oder der/die Betroffene kein Problem damit hat. Bei einer sogenannten sexuellen Aversion besteht eine Abneigung gegen Sex.

Störungen der sexuellen Erregung: Der Mann oder die Frau kann einerseits Probleme haben, erregt zu werden. Andererseits kann es aber auch zu Schmerzen bei der Erregung kommen. Bei Männern kann sich eine Erregungsstörung durch einen vorzeitigen Samenerguss zeigen. Eine vorzeitige Ejakulation kann ein für beide Partner befriedigender Geschlechtsverkehr verhindern. Zum Samenerguss kommt es bereits vor, während oder kurz nach der Penetration. Bei weiblichen Erregungsstörungen wird zwischen einer genitalen und einer subbjektiven Störung unterschieden. Bei einer genitalen Erregungsstörung empfindet die Frau auch bei passender Stimulation keine oder nur geringe genitale Erregung. In Folge bleibt das Anschwellen der äußeren und inneren Genitale aus und die Vagina wird nicht feucht. Bei der subjektiven Erregungsstörung ist die Frau zwar genital erregt, jedoch fehlt die innere Erregung. Die beiden Formen können auch in Kombination auftreten.

Orgasmusstörungen: Bei Orgasmusstörungen hat der oder die Betroffene, Schwierigkeiten zu einem Orgasmus zu kommen oder aber der Orgasmus tritt vorzeitig ein. Auch die Ejakulation ohne Orgasmus oder ein Orgasmus ohne Ejakulation kann eine Belastung sein.

Sexuell bedingte Schmerzen: Es gibt unterschiedliche Arten von sexuellen Schmerzen. Bei Frauen gibt es den sogenannten Vaginismus. Das heisst die Beckenbodenmuskulatur verkrampft sich reflexartig, wodurch das Einführen des Penis oder anderer Dinge erschwert oder verunmöglicht wird. Dyspareunie kann bei Frauen sowie bei Männern auftreten und äussert sich meist beim Geschlechtsverkehr durch krampfartige oder brennende Schmerzen im Genitalbereich. Deshalb bleibt der Orgasmus oft aus.

Störungen in der Entspannungsphase: Nach dem Geschlechtsverkehr treten negative Empfindungen auf, wie Trauer und/oder depressive Gefühle. Ebenso können in der Entspannungsphase Schmerzen auftreten.

Was sind die Ursachen sexueller Funktionsstörungen?

Die Gründe für sexuelle Probleme sind individuell. Im Folgenden werden trotzdem einige mögliche Hintergründe aufgelistet, die zu sexuellen Schwierigkeiten führen können.

  • Belastender Alltag: Stress oder Herausforderungen in einer Beziehung können sich ebenso negativ auf die Sexualität auswirken wie eine Operation, ein Unfall oder eine Erkrankung.
  • Tabuisierung der Sexualität innerhalb der Familie: Die Eltern gelten als Modell für das Rollenverhalten zwischen den Geschlechtern. Auch wird von ihnen der Umgang mit Gefühlen, Zärtlichkeit und Sexualität gelernt. Die erlernten und gemachten Erfahrungen als Kind in der Herkunftsfamilie können somit das spätere Sexualverhalten beeinflussen.
  • Unzureichendes Wissen, Informationsdefizite resp. Mythen: Unzureichendes Wissen oder sogenannte Mythen rund um die Sexualität können Ursache von Sexualängsten sein oder diese zusätzlich verstärken. Bei Mythen verfügt man über gängige kulturelle oder subkulturelle Vorstellungen und Klischees in Bezug auf Sexualität. Diese liegen in einem Spannungsfeld zwischen Orientierungshilfe und zwanghaften Verhaltensmustern. Beispiele für sexuelle Mythen sind: Wer den anderen wirklich liebt, will häufig Sex mit dieser Person. Die Sexualität der Frau ist komplex, die Sexualität des Mannes einfach. Der Mann übernimmt die Führung beim Sex. Zum guten Sex gehört ein Orgasmus.
  • Gehemmtheit und Angst: Verschiedene Sorgen können die Sexualität hemmen, wie beispielsweise soziale Ängste, Angst vor Ablehnung, Angst vor emotionaler Öffnung, Angst vor Abhängigkeit vom Partner/von der Partnerin, Selbstunsicherheit, Angst vor aggressiven oder perversen sexuellen Impulsen.
  • Problematische Hygieneansichten: Geschlechtsverkehr wird als unhygienisch angesehen und deshalb gemieden. Grund kann auch die Angst vor möglichen übertragbaren Krankheiten und Bakterien sein.
  • Eine unzureichende Partnerkommunikation zeigt sich in verschiedenen Formen:
    • Keine oder unzureichende verbale und nonverbale Kommunikation mit dem Partner/der Partnerin: Zum Beispiel bei langjährigen Beziehungen weiss man mit der Zeit, was dem/der PartnerIn gefällt. Man macht nur noch das und deshalb ist es immer das Gleiche. Bei fehlendem gegenseitigem Austausch beginnen sich die Partner zu langweilen. Mögliche unbekannte Vorlieben bleiben unentdeckt.
    • Reaktionsinterpretation: Der/Die PartnerIn interpretieren Reaktionen des anderen ohne nach deren Gedanken/Überlegungen zu fragen oder sich darüber auszutauschen. Dies kann zu Fehlinterpretationen führen.
    • Mythos von der spontanen und natürlichen Sexualität: Der Glaube, dass Sexualität stets spontan gelebt werden muss und natürlich entsteht.
    • Egozentrismus oder übertriebene Anpassung: Es wird nur auf die Befriedigung der eigenen Bedürfnisse geachtet oder aber nur auf die Bedürfnisse des Partners/der Partnerin und die eigenen werden vernachlässigt.
    • Schwierigkeiten beim Nein-Sagen auf Seiten des Empfängers wie aber auch auf Seiten des Senders.
    • Überbewertung der Sexualität wie beispielsweise die Überzeugung haben, dass eine Beziehung nur gut ist, wenn auch die Sexualität gut ist.
    • Scham die eigenen Bedürfnisse, Wünsche und Vorstellungen zu äussern.
  • Leistungsdruck: Angst, den eigenen Erwartungen und den Erwartungen des Partners in Bezug auf Lust, Leidenschaft, Intimität und Nähe nicht gerecht werden zu können. Diese spielen vor allem eine große Rolle bei vorhergehenden unbefriedigenden Erfahrungen und Problemen.
  • Schwierigkeiten beim Abschalten vom Alltag oder Beziehungskonflikten können der sexuellen Lust im Wege stehen. Man kann sich nicht auf das sexuelle Erleben einlassen.

Therapie von sexuellen Funktionsstörungen

Bei der Behandlung von sexuellen Funktionsstörungen wird die Zusammenarbeit von Betroffenen, ÄrztInnen und PsychotherapeutInnen gefordert. Es ist wichtig, dass vor einer psychotherapeutischen Unterstützung eine medizinische Untersuchung stattgefunden hat. Dies soll dazu dienen, dass somatische Ursachen ausgeschloßen werden können. Eine Psychotherapie kann im Einzel- oder im Paarsetting stattfinden.

Psychotherapeutische Methoden bei sexuellen Problemen

Bei der Therapie von sexuellen Funktionsstörungen ist es wichtig, Informationen zu vermitteln und die Kommunikation zwischen den Partnern zu verbessern.

  1. Bei der kognitiven Verhaltenstherapie wird mit unterschiedlichen Techniken gearbeitet. Der Fokus liegt dabei auf den Gedanken, Gefühlen, dem Verhalten und den damit verbundenen Konsequenzen. Zu Beginn wird häufig ein Koitusverbot ausgesprochen. Das heisst, dass für eine gewisse Zeit weder Sex noch Selbstbefriedigung ‚erlaubt‘ sind. Dies hat zum Ziel, Druck vom Thema Sexualität zu nehmen. Anschließend wird mit den sogenannten Sensate Focus-Übungen gearbeitet. Diese beinhalten nicht zielorientierte Streichelübungen. Das bedeutet man lernt, den Partner zu verwöhnen (z.B. mit Streicheleinheiten), ohne dass das Ziel der Geschlechtsverkehr ist. Die Übungen werden langsam gesteigert bis zum Sex. Die Therapie kann sowohl einzeln als auch in Form einer Paartherapie durchgeführt werden. Für beide Therapieformen gibt es entsprechende Übungen.  
  2. Bei den systemischen Verfahren wird intensiv an der Beziehung des Paares gearbeitet. Sexuelle Probleme können die Folge von Konflikten sein. Sie können aber auch umgekehrt Einfluss auf die Beziehung haben. Somit entstehen Wechselwirkungen, die sich gegenseitig beeinflussen. In der systemischen Therapie wird ein Fokus auf das Zusammenspiel dieser Faktoren gelegt und versucht, diese wieder zu ordnen und zu entwirren. Zwischen den Sitzungen erhalten die Paare meist Hausaufgaben, um Gelerntes zu üben, anzuwenden und um dadurch neue, bestenfalls positive Erfahrungen zu machen.  

Was kann ich selbst tun?

Ist die Scham (noch) zu groß, professionelle Hilfe in Anspruch zu nehmen, gibt es einige Selbsthilfe-Tipps:

  • Ein offenes Gespräch mit dem/der PartnerIn wird von der betroffenen Person häufig als befreiend wahrgenommen. Auch ein Gespräch mit einer anderen Person kann als erster Schritt helfen.
  • Der Besuch einer Selbsthilfegruppe zeigt, dass man mit seinem Problem nicht alleine ist.
  • Bücher wie auch spezifische Webseiten können ebenso weiterhelfen. Hier eine kleine Auswahl:
    • Ratgeber für Frau und Mann:
      • Beatrix Gromus (2005): Was jede Frau über weibliche Sexualität wissen will: Ein Ratgeber zu sexuellen Problemen für Frauen und ihre Partner.
      • Steffen Fliegl; Andreas Veith (2010): Was jeder Mann über Sexualität und sexuelle Probleme wissen will: Ein Ratgeber für Männer und ihre Partnerinnen.
    • Lexikon der Sexualität
    • Deutsche Gesellschaft der Sexualforschung
    • Diese Sexualberatung bietet unter anderem praktische Tipps für ein erfüllteres Sexleben.
Über die AutorIn
Lena Forrer

Redakteurin